Hat der Hund gefressen!

Zur Gruppenausstellung «Home Work» im SOX Berlin 2021 mit Absalon, Sophie Aigner, Peter Behrbohm, Stefan Demary, Kerstin Drechsel, Serena Ferrario, Thomas Huber, Bianca Kennedy, Aviva Silverman kuratiert von Manuel Kirsch

«Home Work», eine Gruppenausstellung im Projektraum SOX auf der Oranienstraße in Berlin präsentiert eine Auswahl an Arbeiten, die mit formalen Einschränkungen umzugehen und räumliche Konstellationen zu nutzen wissen. Der Ausstellungsraum selbst ist ein knapp drei Meter breites und über zwei Meter hohes Schaufenster, das normalerweise nur Einzelausstellungen präsentiert, die oftmals von den Künstler*innen ausschließlich eine Arbeit zeigen. Diese Arbeiten sollen idealerweise für den Ort speziell entwickelt werden, der sich auf einer belebten Geschäftsstraße in Kreuzberg befindet.

Seine zynische Sicht auf die Dinge: Wenn sich die ansteckenderen Virusvarianten weiter verbreiten – und das werden sie – kann er länger von zuhause aus arbeiten. Mittlerweile rechnet er damit, dass er erst ab Herbst wieder vor Ort arbeitet. Zum Glück hat er einen Arbeitgeber, der Home Office voll unterstützt.

Groupshow Home Work Opening: Saturday, 14 August 2021, 6 – 9 PM 15.8. – 7.11.2021 Absalon Sophie Aigner Peter Behrbohm Stefan Demary Kerstin Drechsel Serena Ferrario Thomas Huber Bianca Kennedy Aviva Silverman curated by Manuel Kirsch
Manuel Kirsch: «Home Work», Einladungskarte zur Gruppenausstellung

Für die Ausstellung «Home Work» wurden neun Künstler*innen eingeladen, eine Arbeit zur Verfügung zu stellen, die jeweils in einem vom Kurator Manuel Kirsch zugeteilten Raum eines Architekturmodells realisiert wurde. Der Charakter der dargestellten Räume orientiert sich an unterschiedlichen Funktionen: An rechtwinkligen Wohnräumen, orientierungslosen Treppenhäusern wie aus Werken von MC Escher, Fabrikhallen mit Oberlichtern, Turnhallen und Scheunen. Die Räume sind zu einer Seite hin angeschnitten, so dass sie seitlich für die Betrachter*innen von der Straße aus einsehbar sind. Sie können von der Straße aus als Ansicht eines Querschnitts durch die Räume jenseits des Schaufensters von den Passant*innen betrachtet werden.

Gegen die körperliche Schwachheit kann sie anturnen, aber gegen die psychische, was macht sie dagegen? Ihre Freundin meint, Handarbeit würde in der Psychiatrie als Therapieform eingesetzt. Sie häkelt Topflappen. Und findet es sehr entspannend, einen Entwurf einfach runter zu arbeiten. Sie sind heute morgen am Nordufer entlang spaziert, diesmal auf der anderen Seite, von wo aus alles gleich wie neu ausschaut. Die Freundin hat ihr einen Brief mitgegeben, in den sie zwei selbst gefaltete «Diamanten» aus Papier gesteckt hat. Als sie ihn zuhause aufmacht, kommen ihr die Tränen.

Die Kombination von Arbeit und Wohnen, die die Werke thematisieren sollen, ist nicht lediglich ein Nebeneinander, da Arbeit an sich ins Wohnen eingeschrieben ist: Sie beginnt bereits mit der Wahl der Wohnung und der Suche danach, die für die meisten mit Aufwand und dem Ärger darüber, überhaupt eine zu bekommen, verbunden ist. Mittlerweile bedeutet diese Suche fast überall hauptsächlich, dass sie ins Budget passen muss, da Wohnraum zur knappen Ware und mehr und mehr zum Spekulationsobjekt wird. Dessen Einrichtung und Instandhaltung bis hin zum täglichen Lebensalltag von Kochen, Putzen, Waschen – alles daran ist meistens unbezahlte Arbeit, selbst wenn einige gerne behaupten, dass ihnen manches davon Spaß macht.

Dazwischen hat er mit seinem Bruder telefoniert. Neulich schickte der ein Video, das er aus dem Auto heraus aufgenommen hatte. Er fährt durch die verschneite Landschaft bis zu ihnen in den Hof und dazu läuft von Chris Rea «Driving home for Christmas» – er war den Tränen nahe. Sein Bruder fragte ihn, wann er mal wieder kommt und er sagte, na, vermutlich frühestens Mitte April zum Geburtstag ihrer Mutter. Er murmelte «Hm, zum Geburtstag» und es klang ein bisschen traurig. Was es ja ist, aber er darf froh sein, wenn das überhaupt klappt.

Für die meisten Künstler*innen sind die Grenzen der Arbeit hin zu einem Privatleben schon lange fließend. Ihre Arbeit beschränkt sich nicht auf die Anwesenheit im Studio um Projekte zu entwickeln und Ergebnisse zu produzieren: Recherche, Verwaltung und Abrechnung sind ebenfalls Teil der Jobbeschreibung und finden oftmals zuhause statt. Die sogenannte Work-Life-Balance geht bei vielen Künstler*innen oft verloren: Ganz der neoliberalen Selbstverwirklichungsmaxime geschuldet, sind sie rund um die Uhr im Arbeitsmodus, in welchem von den D.I.Y.-Entrepreneurs vor dem Zubettgehen schnell einige Posts in den Sozialen Netzwerken abgesetzt werden, um weiterhin im Gespräch zu bleiben, solange der Körper nicht bei gesellschaftlichen Ereignissen ausgestellt werden kann.

Die geschenkte Palme ging – gegen alle Warnungen von ihr umgetopft in Nicht-Sand – nach knapp sechs Wochen wie vorhergesagt halb den Bach runter, obwohl sie sie an die Ecke des Fensters schob, wo morgens Sonne hinscheint. Von Tag zu Tag ging es ihr letzte Woche schlechter – und sie brauchte schnell Sand. Deshalb stand gestern die aktive Suche an und sie wurde bei einer Toreinfahrt von einem Baustoffhandel fündig. Mit Einweghandschuhen kratzte sie ein paar Handvoll zusammen und pflanzte zuhause endlich die Palme mit dem daran hängenden Äffchen aus Pfeifenputzern in den Sand mit viel Steinchen.

Etliche Künstler*innen haben überhaupt kein Atelier mehr, denn auch die subventionierten Angebote können sich immer weniger Kreative leisten und so müssen sie sich als Konsequenz daraus auf eine Arbeitsweise beschränken, die von zuhause aus machbar ist.

Oder sie verzichten lieber auf eine externe Arbeitsstätte, um sich feste, regelmäßige Ausgaben zu sparen, obwohl sie es sich leisten könnten. Es kann darüber hinaus durchaus praktisch sein, keinen Arbeitsweg, sondern alles an einem Ort zu haben und nicht dauernd überlegen zu müssen, wo sich etwas Bestimmtes befindet oder wohin dieses transportiert werden muss. Wenn alles an einem Ort stattfindet, muss man außerdem seltener nachschauen, ob im Aschenbecher etwas brennt und das Licht aus ist.

Zuhause angekommen war er so genervt von allem und von sich selber, dass er einen schwarzen 120-Liter Müllsack unter der Spüle hervorholte und anfing, alte Klamotten und anderen Kram reinzuschmeißen. Das hat vor ein paar Monaten schon einmal gut geklappt. Er sah in dem dunklen Ding das Zeug nicht mehr und irgendwann hatte er vergessen, was genau drin ist, und der Sack nervte im Flur und er brachte ihn einfach weg.

Schon Buckminster Fuller träumte in seiner «Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde» davon «mechanisierte Bürohäuser» zum Wohnen zu nutzen, da sie «ohne Lohnarbeiter» leer stünden. Allerdings ging er noch von den Annahmen aus, dass Arbeit von zentralisierten Rechnern in wenigen Kellern erledigt und das Geld zum Leben durch anderes als Arbeit generiert würde.

Zuhause wird munter für die Zukunft drauf los geplant – ob es durchgeführt wird, steht in den Sternen. Planung und Durchführung, so behaupten manche, z.B. Marina Abramović, sei das Leben selbst, aber was wird aus dem Leben, wenn es in der Planungsphase stecken bleibt und es keine Ausführung gibt? Ein Leben im Konjunktiv, das in der Warteschleife um sich selbst kreist? Was ist, wenn das Ergebnis abweicht von den Annahmen und Hochrechnungen der planenden Modellierungsphase? Wenn die Hausaufgaben von den Künstler*innen zwar weiterhin gemacht werden, aber nie abgegeben werden können? Wie lange genügt es, dass allein im Kopf alles seine richtige Größe hat? Was ist, wenn die Miniatur niemals bespielt wird und die Faszination für die Verkleinerung nachlässt?

Vom Balkon der Ferienwohnung inmitten eines Neubaugebiets aus, auf dem sie heute morgen geturnt hat, schaut sie auf einen Kiefernwald. Von der anderen Seite aus, zu der eines der Schlafzimmer im oberen Geschoß raus geht, sieht sie den See zwischen den Neubauten und Bäumen. Gestern war sie nach der Arbeit schwimmen; sie war die Einzige im Wasser. Sie ist die Woche über in der Wohnung geblieben und macht Home Office. Es ist ein bisschen spooky nachts alleine und so kaum jemand um einen herum.

Der Druck der Kunstbranche und des sog. «Kreativmarktes» ist hoch und er wird nicht geringer, wenn die Möglichkeiten an die Öffentlichkeit zu gehen über einen längeren Zeitraum eingeschränkt werden und die flankierenden Verdienstmöglichkeiten – von der Kunst zu leben haben sich die meisten bereits abgeschminkt – ebenfalls beschnitten sind. Das fragile und prekäre System einer individuellen Umverteilung von Einnahmen durch Lohnarbeit und Ausgaben für die Kunst bricht dann für viele notgedrungen zusammen.

Die Wirtschaftskrise der Nullerjahre wurde als Präsentation der Schwachstellen des kapitalistischen Systems interpretiert und teilweise als inhaltliche Chance für die Kunst wahrgenommen: Die künstlerische und kuratorische Abwendung von physischen Objekten und erweiterte Integration von mehr performativen Elementen, um gesellschaftliche Missstände und Marktmechanismen aufzudecken und als Kritik an Kunst als Spekulationsobjekt, waren die Folgen, die unter dem Stichwort «Immersion» subsumiert werden können.

Gestern hat er die Affenpalme nochmal umgetopft, die gerade sehr gut gedeiht. Auf der erneuten Suche nach Sand hatte er festgestellt, dass der Schlüssel für den Garten hinter dem Querhaus, woher er den letzten Sand hatte, nicht mehr funktioniert und ist deshalb zum Baumarkt gefahren. Auf dem Rückweg sieht er auf dem Fahrradweg zwei riesige weiße Farbflecken vor sich und denkt: Ah, da war wohl noch jemand im Baumarkt. Und als er drüber fährt stellt er fest, dass die Farbe nicht trocken ist und spritzt. Also hat er nach dem Umtopfen – hoffentlich übersteht das Pälmchen es – Farbspritzer vom Rad gewaschen und ein paar Runden gehäkelt zum Frustabbau.

Diese Entwicklung kehrte sich durch die Pandemie ab 2020 diametral um: Um die Warenwirtschaft nicht komplett stillzulegen und somit die Abwanderung in den Online-Handel zu beschleunigen, durften Geschäfte geöffnet bleiben. Dadurch wurde die starke Definitionsmacht von Galerien, die ja letztendlich auch nur Läden sind, innerhalb der Kunstszene weiter ausgebaut. Unabhängige Kunsträume konnten hingegen ihre vom Markt oft ignorierten Positionen nicht mehr der Öffentlichkeit präsentieren.

Diese Situation wurde letztendlich zum Realitätscheck, als die Arbeitsleistung der freien Szene, die bei den wenigsten Beteiligen Einnahmen generiert, der einen oder dem anderen plötzlich zwangsweise und schonungslos klar machte, dass das System anderes als den Kunstgenuss als relevant einstuft. Gleichzeitig wurden die Bedingungen für Live-Aufführungen unter Pandemiebedingungen erschwert. Sie fielen aus oder wurden ins Netz verlegt. Hardware, mit der weiterhin in klassischer Weise gehandelt werden konnte, war umso mehr gefragt, und der Aufstieg der NFTs, die digital in einer Blockchain zertifiziert werden, begann.

Sie bäckt einen Clementinenkuchen, der im Grunde ein Upside-Down-Kuchen ist. Sehr orange und sommerlich schaut er aus. Soll sie sich neue Handtücher in Gelb, Orange und Rot bestellen oder nicht? Sie wärmt die Linsen-Tomaten-Kokos-Suppe nach Ottolenghi von gestern auf. Ein Tag, an dem alles egal erscheint. Willkommen zuhause! Sie greift zur Häkelnadel und macht den nächsten Versuch eines Mohair-Pullunders.

Als eine ideale Verschränkung von Selbstbeobachtung und -beherrschung zuhause im Home Office kann Marina Abramovićs Zusammenarbeit mit dem Digitaldienstleister Wetransfer gelten: Der Dienst, der vielen Unternehmen und Digitalarbeiter*innen die Arbeit erleichtert, bietet die Selbstoptimierungsmethoden von Abramović seit dem Jahr 2021 als Online-Kurs an. Sie verlangt normalerweise sehr viel Geld, um mit ihrer «Abramović Method» den Teilnehmer*innen beizubringen, wie man richtig Reiskörner zählt oder ein Glas Wasser in einer Stunde trinkt.

Seine Arbeitgeberin bezieht ab Oktober ein neues Büro. Mindestens so lange hat er Home Office und wenn sich die Pandemie hinzieht oder wieder oder was Ähnliches aufflammt auch darüber hinaus. In der Videokonferenz gibt es nichts zu besprechen, deshalb dauert sie wohl umso länger. Er hasst Zoom, weil man zwei Klicks braucht, um die Konferenz zu verlassen und nicht wie bei anderen Videochatprogrammen nur einen.

Groupshow Home Work Opening: Saturday, 14 August 2021, 6 – 9 PM 15.8. – 7.11.2021 Absalon Sophie Aigner Peter Behrbohm Stefan Demary Kerstin Drechsel Serena Ferrario Thomas Huber Bianca Kennedy Aviva Silverman curated by Manuel Kirsch
Pdf-Katalog zur Ausstellung
Gestaltung: Björn Streeck

Den räumlichen Einschränkungen, mit denen die Künstler*innen für das SOX umgehen mussten, begegneten sie entweder durch Miniaturisierung und Reduzierung der präsentierten Objekte oder sie wehrten sich gegen die Einengung, indem sie möglichst volle und unübersichtliche Interieurs schufen. Die Ausstellung bildet somit den formalen Gegenpunkt zur Ausstellung «Der eilige Geist» von Asta Gröting, die ein halbes Jahr zuvor im SOX stattfand, bei der die Künstlerin in einer dreistündigen Performance den Tänzer Florian Schlessmann ausstellte. Von der Annahme ausgehend, dass jegliche Distanzen und Verhältnisse ursprünglich mit dem Körper gemessen wurden, kämpfte er gegen die Enge des Schaufensters durch Windungen und Zuckungen an.

Anders als Hausaufgaben im Schulkontext dürfen Kunstwerke bei jeder Ausstellung durch Außenstehende bewertet werden, ob bereits durch die Kurator*innen oder erst in der Ausstellung. Deshalb sind die Betrachter*innen dazu aufgerufen, sich bei der Erledigung ihrer Pflichtlektionen, die zur Bewertung ihres Arbeits- und Sozialverhaltens beitragen, von der Bandbreite an unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen und Inhalten stimulieren zu lassen und sich zwischen stehen bleiben und wegrennen zu entscheiden.

Wir empfehlen:

Marina Abramović: «The Abramović Method», https://abramovicmethod. wetransfer.com, 2021; Richard Buckminster Fuller: «Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde», Hamburg 2010; Carola Padtberg: «Wie ich versuchte, mein Pandemie-Hirn zu heilen», DER SPIEGEL, 30/2021, S. 120, Stiftung Warentest: «Über das Wochenende verboten», https://www.test.de/Hausaufgaben-Ueber-das-Wochenende-verboten-5526669-0/, 2019; Andy Warhol: «The Philosophy of Andy Warhol (From A to B & Back Again)», Orlando 1975; Banana Yoshimoto: «Der See», Zürich 2014


Titelmotiv: Peter Behrbohm