Ronja von Rönnes Roman Wir kommen serviert Selbstzerfleischung und Selbstmitleid. Mit einem Schuss Entertainment.
Ein 40-something interessiert sich gerne wieder für junge literarische Stimmen, vielleicht weil er in komplett naiver Erwartung hofft, dass das Leben oder die Figuren im Roman einer Autorin in ihren Zwanzigern frischer und kraftvoller als er selber sein könnten und ihr Buch deshalb erheiternd und energetisch auf sein aktuelles Lebensgefühl – kurz vor der Midlife-Crisis – wirken müsste.
Eine zu eben jener Gemütslage und Hoffnung passende Jungautorin ist Ronja von Rönne, die 2015 durch einen Beitrag über den Feminismus in den Fokus rückte und kurz danach bereits zur Teilnahme am Lese-Wettbewerb in Klagenfurt eingeladen wurde. Soeben hat sie ihren ersten Roman Wir kommen veröffentlicht, der im Aufbau Verlag erschienen ist.
Zur Handlung: TV-Starlett Nora, deren Name wohl eine Anspielung auf die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises sein soll, wurde von ihrem Therapeuten dazu angehalten, ein Tagebuch über ihre Panikattacken zu führen, weil dieser sich nach einer Reise über den Zustand seiner Patientin informieren möchte. (Passend dazu präsentierte die Autorin einige Tage vor Erscheinen ihres Tagebuchromans auch ein journalistisches Tagebuch im Feuilleton der WELT, für die sie als Redakteurin arbeitet.) Kurz danach bricht Nora selber auf, und zwar zusammen mit ihrer Patchwork-Kleinstfamilie. Diese besteht aus einem weiteren Hetero-Pärchen, dessen männlicher Teil ihr Ex-Freund und dessen weiblicher Teil wiederum Mutter des Kindes ihres jetzigen Partners ist, der ebenfalls Teil des Beziehungsgeflechts ist, das über Noras Kopf hinweg beschlossen hatte, gemeinsam als Viererpack durchs Leben zu gehen.
Im Laufe des Buches muss deshalb anscheindend auch zwingend das P-Wort konkret fallen: Polyamorie. Überflüssigerweise, denn mehr als ein kleiner homoerotischer Zwischenfall ist für den Leser nicht vorgesehen. Hauptsache es hört sich gut an und man schaut gut dabei aus, denn diese «Beziehung ist eine einzige Imitation irgendwelcher Filme, und wenn wir uns streiten, dann halt noir, mit viel Schweigen und wütendem Rauchen, und ab und zu knallt eine Tür, und meistens fällt das Licht weich durch die Jalousien. Einmal stritten wir uns in einem McDonald’s, aber dann sagte Jonas, wie scheiße das aussehe, also lief er wütend nach draußen, und wir stritten uns im Licht von Straßenlaternen weiter.»
Weil sie sich zwar miteinander langweilen, aber selbstredend keine Lust haben, sich mit der Außenwelt zu beschäftigen, fährt das Grüppchen ans Meer – wohin auch sonst? – und zerstört dort erstmal das technische Equipment, das sie noch mit der Restrealität verbindet – ein Tablet darf als Nabelschnur noch weiterfiepen – um dann in »metaphorischem», d.h. mindestens meta-ironischem, Ennui und überflüssiger Selbstzerfleischung zu versinken. Weil das zum Glück auch die Protagonisten langweilt, kommt jemand auf die Idee eine Party zu organisieren, damit weitere überflüssige Konflikte mit neuen Figuren ausgetragen werden können.

«Wir kommen»,
Aufbau Verlag
Parallel zu diesem Handlungsstrang gibt es episodenhafte Rückblicke in die Kindheit, die offensichtlich wichtig sind für die Literatur von Jungautoren, wohl um zu beweisen, dass man schon einige Zeit auf dem Buckel und eine eigene Geschichte vorzuweisen hat. In diesen Episoden wird die Freundschaft Noras zu Maja geschildert, die das Kind einer alkoholkranken Mutter ist, Noras Jugendgang anführte, somit das Leben aller auf dem Lande etwas aufmischte und mächtig Einfluss auf die Protagonistin ausübte, der immer noch anhält.
Zu Beginn des Buchs ist der 40-something zumindest den Personen dieses Handlungsstranges teilnahmsvoll zugewandt, aber im Verlauf des Buches nehmen die Klischees Überhand und das Interesse am Schicksal Majas, die über eine verschwommen geschilderte Straftat nicht hinweg kommt und deshalb scheinbar zwangsläufig in der Depressionen enden muss, versiegt leider.
Irgendwann ist die Protagonistin mindestens so genervt wie der 40-something von ihrer Reisegruppe und tut das einzig Richtige: Sie flüchtet vor den ganzen Langweilern. Was der 40-something sicherlich auch bald getan hätte, wäre das Buch nicht gleich danach zu Ende gewesen.
Hört sich ganz schön trist an? Allerdings. Was den 40-something jedoch durchhalten ließ, sind jene Abschnitte, in denen Nora komplett wehleidig wird. Sie sind trotz allem erfrischend und nehmen im Laufe des Buches deutlich an Fahrt auf. Hier eine kleine Kostprobe:
«Es ist unfair, dass ich ohne Talent unglücklich bin, während er damit Geld verdient. Unglück ist etwas für Leute mit Talent, die darüber Bücher und Songs schreiben können, von denen sich dann Leute ohne Talent, wie ich, verstanden fühlen. Ohne Talent unglücklich zu sein, ist sinnlos. Unglück ist etwas für Menschen, die später in Interviews sagen können, dass sie damals in einer dunklen Phase steckten. Menschen, die niemals Interviews geben werden, sollten diese dunkle Phase nicht haben müssen.»
Sicherlich wird der 40-something überhaupt nicht zur Zielgruppe dieses Buches gehören und er hat deswegen vermutlich einfach alles falsch verstanden. Oder die Stagnation von Handlung und Personen sind Mittel zum Zweck. Oder einfach nur das Symptom einer Generation, die in diesem Buch nicht fähig zu sein scheint, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Oder auf das einer Schildkröte aufzupassen, weswegen diese nach ihrem Ableben dann eben einfach äußerst «metaphorisch» aus dem Fenster geworfen wird.
Der 40-something freut sich aber nun erst recht auf die folgenden Bücher von Ronja von Rönne, in denen hoffentlich nur noch larmoyante Mittelstandsweinerlichkeiten versammelt sind, die dann sehr unterhaltsam sein werden. Für die lässt der 40-something sich auch gerne zum imaginären Therapeuten machen, der im literarisch überformten Tagebuch einer Patientin schmökert, weil diese Literatur dann wenigstens ausschließlich in Selbstmitleid versinkt – und darin erkennt sich der 40-something äußerst gut wieder.
Oder wie die Autorin es Nora formulieren lässt: «Je detaillierter ich all das aufschreibe, desto größer scheint die Möglichkeit, dieses Leben doch noch irgendwie zu einem spannenden zu machen, jeder Satz eröffnet die Möglichkeit, dass ich mit dem Kassenmädchen durchbrenne, zurück zu Jonas fahre, nach Australien verschwinde. All diese Möglichkeiten gäbe es, wäre dieses Leben nicht meines. Denn eigene Leben sind störrisch, sie sind langweilig, die Tage vergehen, und nur ab und zu stößt man sich den Zeh an oder wird zu einem Studium zugelassen oder der Hund stirbt. Dann erscheint alles plötzlich klarer und es erscheint noch klarer, wenn man darüber schreibt.»
Und diese Bücher von Ronja von Rönne werden erfreulicherweise ganz bestimmt kommen – so sicher wie die Midlife-Crisis.
Foto: Carolin Saage/Aufbau Verlag