… oder performst du schon?

Ansprüche und Zwänge zeitgenössischer Performance

«Zeig uns, dass du es kannst!» – so lautet eine der immer wiederkehrenden affirmativen Aufforderungen Heidi Klums an ihre «Mädels», wie sie Teilnehmerinnen der von ihr moderierten Castingshow Germany’s Next Topmodel nennt. Deren mittlerweile achte Staffel konnte 2014 eine weitere Siegerin dem Firmenkonglomerat Klums zuführen, um diese zu vermarkten, wie es in der Managementsprache genannt wird, wenn mit Menschen und deren Images Geld verdient wird.[1]

In diesem und anderem ähnlichen, mechanisch wiederholtem Wortgeklingel Klums treten einige der grundlegenden Eigenschaften und Mechanismen zeitgenössischer per­formativer Kultur deutlich zu Tage: Das «Können», das «Zeigen» und als Folge davon das «Verkaufen». Nun könnte man einwenden, dass die Teilnehmerinnen von Germany’s Next Topmodel durchschnittliche Mädchen seien, die auf der Straße oder in offenen Bewerbungs­verfahren ausgewählt werden, und keine Darstellerinnen und deshalb die Parameter einer Performance im eigentlichen Sinne gar nicht angelegt werden könnten, weil sie demnach lediglich sie selbst seien und gar keine Rolle spielten. Dies ist jedoch mitnichten der Fall und erscheint gelinde gesagt sogar leicht naiv. Denn erstens erfolgt die Auswahl der Mädchen wie bei einer Inszenierung nach einem Rollenschema, bei dem darauf geachtet wird, dass verschiedene Charaktere wie «die Sportliche», «die Zickige», «die Unkomplizierte» jeweils ausgewogen besetzt sind. Darüber hinaus empfiehlt Heidi Klum in ihrem Buch Heidi Klum – Natürlich erfolgreich, das im Original den prägnanten Titel Body of Knowledge trägt, auch dezidiert: «Tu so, als ob, und man wird dir glauben» und weiter: «Was heißt «es rüberbringen»? Für mich bedeutet es, die Person zu spielen [im Orginal kursiv, Anm. des Verfassers], für die ich gehalten werden will. Klingt das unaufrichtig? Das ist es meines Erachtens nicht.»[2] Und an anderer Stelle: «Betrachte es vielmehr als ein Rollenspiel».[3] Der Kundenwunsch ist oberstes Gebot und ständig abrufbare Präsenz in der Rolle erste Modelpflicht.

Darstellerische Arbeit soll dabei zum Spiel umgedeutet dadurch auch die Grenze zwischen Arbeit und Leben verwischt werden. Diese ist bei prekären Arbeitsverhältnissen, wie sie z.B. bei bildenden und darstellenden Künstlern im Allgemeinen vorherrschen, von vornherein äußerst brüchig, wenn sie denn überhaupt noch existiert. Aber sie soll sogar oftmals absichtlich aufgebrochen werden und somit das Leben zum Gesamtkunstwerk gemacht werden.

Somit lösen Künstler von vornherein am ehesten den von der postfordistischen Dienstleistungs­gesellschaft geforderten Anspruch auf Eigenverantwortlichkeit und unab­lässiger Arbeit am eigenen Selbst durch ständige Selbstausbeutung ein und scheinen bestens vorbereitet für die immer loser werdenden Arbeitsverhältnisse einer beschleunigten kapitalistischen Marktwirtschaft, die pausenlose Arbeits­bereitschaft und schier unbegrenzte Flexibilität der Arbeitskräfte für eine ihrer Grundvoraussetzungen hält und nur noch selten von Leistung, sondern stattdessen lieber von Performance spricht.

Die geforderte Art von Selbstoptimierung wird am drastischen Beispiel der Performance The Artist is Present[4] deutlich,die für die Retrospektive von Marina Abramović im MoMa in New York 2010 entwickelt und von ihr dargeboten wurde. Dabei saß sie während der gesamten Öffnungszeiten der über drei Monate dauernden Ausstellung jeweils einem Besucher gegenüber. Anfangs waren beide noch durch einen Tisch getrennt, der dann jedoch später auf ihren Wunsch hin entfernt wurde. Im gleichnamigen Dokumentarfilm dazu wird deutlich, welche immensen körper­lichen Anstrengungen diese scheinbar so simple Aktion vor allem zum Ende der Ausstellungslaufzeit für sie bedeutet haben müssen und wie sehr ihr die 712 Stunden Gesamtdauer[5] der Performance zusetzten. Hier wird das «Können» von der Künstlerin zum «Aushalten können» sowohl der physischen als auch der emotionalen Anforderungen einer Marathonsitzung umdefiniert.

Allerdings sieht sie selber ihre künstlerische Arbeit, die den von der Gesellschaft und Wirtschaft geforderten Leistungswillen bis hin zur Opferbereitschaft perfekt verinnerlicht hat – was nicht nur in diesem Werk, sondern in ihrem gesamten Œvre deutlich wird – , nicht als Kritik an diesen Zuständen. Für sie ist die Wirtschaftskrise von 2009 eher die willkommene Ursache für ein gesteigertes Interesse an nicht-materiellen Gütern und Performance-Kunstwerken wie die von ihr entwickelten. [6]

Man fragt sich allerdings, warum sie sich nochmals einer ähnlichen Heraus­forderung stellt, wenn sie dieses Jahr im Alter von 67 Jahren eine weitere Langzeitperformance namens 512 Hours in der Serpentine Gallery in London aufführt.[7] Möchte sie vielleicht den Beweiß antreten, dass die Performance-Kunst doch noch nicht tot ist, wie einige ihrer Kritiker unkten, nachdem der Musiker Jay-Z für sein Video Picasso Baby eine Performance, die der von ihr im MoMa gezeigten durch die direkte Konfrontation im Tanz mit einem Gegenüber – in diesem Falle jedoch einem handverlesenen Grüppchen – sehr nahe kam, in einer Galerie aufführte und sie selber in dem Video auch zu sehen war.[8] Spätestens mit ihrer Dauerperformance im MoMa hatte sie sich vom Dasein einer Nischenkünstlerin verabschiedet und damit sowohl der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Arbeit als auch der Performance Art im Allgemeinen neue Schubkraft verliehen. So wurden bei der Biennale di Venezia 2011 der Goldene Löwe für das Lebenswerk an Yoko Ono und für den besten Pavillon an Christoph Schlingensief und 2013 für den besten Künstler der internationalen Ausstellung an Tino Sehgal vergeben – alles Künstler, die mit Performances arbeiten.

Bei der aktuellen Ausstellung dürfte sicherlich auch die Finanzierung des von ihr gegründeten Marina Abramović Institutes[9] einer der Gründe für sie sein, wieder mit einer spektakulären Aktion über ihre Arbeiten hinaus auf die Anliegen des Instituts aufmerksam zu machen. Sind doch die konservatorischen Aspekte einer zeitbasierten künstlerischen Arbeit die dringlichsten Probleme, die sich ihnen stellen. Eine Performance-Arbeit hängt oft ausschließlich vom der sie konzipierenden Künstlerin bzw. Künstler ab und wird nur durch ihn oder sie reproduziert, nur selten notiert oder transkribiert, nicht wie ein Theaterstück verlegt und dadurch meistens nicht von vornherein für eine Wiederaufführung durch Dritte geplant.

Die Notierung dürfte sich dabei auch schwieriger gestalten, ist Performancekunst doch nicht originär textbasiert, sondern kommt oft ohne Worte aus oder gar manchmal dem Tanz näher. Die Sprache wird eher abgelehnt, da diese den Umweg über das Zeichen nimmt und ein Regelwerk voraussetzt und der Kunst somit eine Erstarrung droht – denn der Performance-Kunst geht es um Unmittelbarkeit und Präsenz.[10] Wie Susanne von Falken­hausen schreibt: «Ein Kunstwerk hingegen, das präsent sei, würde nicht gedeutet, gelesen, interpretiert, sondern als Ereignis wahrgenommen, das dem Betrachter unvermittelt begegnet.»[11] Oder wie Marina Abramović es formuliert: «Performance is real […] – theater is not real.»[12]

Dies macht deutlich, dass in der Performance-Kunst sowohl die Grenzen zwischen Kunst und Leben und darüber hinaus die Grenze zwischen Künstler/in und Publikum aufgehoben werden sollten. Beide sollten «ununterscheidbar in die Aktionen und Happenings involviert sein» und ursprünglich «außerdem vorzugsweise nicht in Kunsträumen stattfinden, sondern an Orten des täglichen Lebens.»[13]

Was jedoch nicht hieße, dass Performance-Kunst, die sich inhaltlich und formal kapitalismus­­­­­­­kritischen Ansätzen widmet, prinzipiell nicht anschlussfähig an den Kunstmarkt wäre. So gibt es Kunstmessen, die spezielle Abteilungen für Performance-Kunst einrichten, wie dies beispielsweise bei der artissima in Turin mit ihrer neu gegründeten Sektion PER4M dieses Jahr der Fall ist.[14]

Dabei kann der Akt des Verkaufs ebenfalls zu einer performativen Handlung werden, wie dies Tino Sehgal demonstriert. So werden seine Arbeiten ohne schriftlichen Vertrag nur unter dem Beisein eines Notars und eines Zeugen mündlich dem Käufer übertragen.[15] Seine Arbeiten dürfen darüber hinaus grundsätzlich nicht fotografiert oder gefilmt werden – es fehlt sogar die Werkbeschriftung, die teilweise einfach von den Aufführenden mündlich vorgetragen wird. Er sagt dazu: «Somehow it exists in my mind, in my body, and in the bodies of the people who know how to do it, and it also exists in their memories, and of those of the people who saw it.»[16]

Interessant an Sehgals Werdegang ist die Tatsache, dass er zuerst als Chreograph am Theater arbeitete und später jedoch Arbeiten entwickelte, die explizit im Museum bzw. Ausstellungsräumen gezeigt und als bildende Kunst und nicht als Performance-Kunst betrachtet werden sollten. «You send your children to the museum, and that’s the official version of who we are, as a society», begründet er seine Entscheidung. «Putting my work in the museum, it’s also a political move. Because of this high status of the object in our culture, something has to be a thing. […] I think dance, for example, is just as much a thing, and I want for it to have the same status.»[17]

Daran wird deutlich, welchen Status die Kunst der Performance in der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung immer noch hat, obwohl oder weil performative Praktiken in unserem Alltag tief verankert und aktueller den je sind, wie am Phänomen der omni­präsenten Castingshows zu sehen ist. Gerade vor diesem Hintergrund scheinen auch die Bemühungen Abramovićs umso verständlicher, ein festes Haus für Projekte zu schaffen, die immateriell und zeitbasiert sind und nicht nur ihre Arbeiten umfasst. «I need to create a structure where I can actually provide some of my experience, but also open up a platform to everybody else – to really make it collaborative.»[18]

Dabei muss sie sich – dem Prinzip der künstlerischen Selbstbestimmung ver­pflichtet – alleine dieser Herausforderung und den Problemen stellen, denen performative Kunst immer wieder aufs Neue ausgesetzt ist, und es bleibt zu hoffen, dass sie die ursprünglichen Ansprüche dieser Kunstsparte nicht aus dem Auge verliert.


[1] Die Topmodelmaschine, ZEIT ONLINE, 30.04.2014, http://www.zeit.de/ lebensart/ mode/ 2014-04/ germanys-next- topmodel-klum- umsatz-unternehmen, abgerufen am 09.06.2014.
[2] Klum, Heidi mit Postman, Alexandra: Heidi Klum – Natürlich erfolgreich, Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag, 2004, S. 42.
[3] Ebd., S. 43.
[4] Abramović, Marina: The Artist is present, http://www.moma.org/ interactives/ exhibitions/ 2010/ marinaabramovic/, abgerufen am 09.06.2014.
[5] Marina Abramović, http://de.wikipedia.org/ wiki/ Marina_Abramovi%C4%87, abgerufen am 09.06.2014.
[6] Abramović, Marina: The Artist is present, http://www.moma.org/ interactives/ exhibitions/2010/marinaabramovic/  marina_perf.html, abgerufen am 09.06.2014.
[7] Marina Abramović: 512 Hours, http://www.serpentinegalleries.org/ exhibitions-events/ marina-abramovic- 512-hours, abgerufen am 09.06.2014.
[8] Steinhauer, Jillian: Jay-Z Raps at Marina Abramović, or the Day Performance Art Died, in: Hyperallergic, 10.07.2013, http://hyperallergic.com/ 51300/ the-end-of- performance-art- as-we-know-it/, abgerufen am 09.06.2014.
[9] Marina Abramović Institute, http://www. mai-hudson.org, abgerufen am 09.06.2014.
[10] von Falkenhausen, Susanne: Gattungskrisen im 20. Jahrhundert. Das Jahr 1960 als «Schaltjahr» oder: Vom Action Painting zum Happening, in: ders., Praktiken des Sehens im Felde der Macht, Hamburg: Philo Fine Arts, 2011, S. 154.
[11] Ebd., S. 154.
[12] Abramović, Marina: The Artist is present, http://www.moma.org/ interactives/ exhibitions/2010/ marinaabramovic/  marina_perf.html, abgerufen am 09.06.2014.
[13] Ebd., S. 158.
[14] Artissima, http://www.artissima.it/ frontend/ domande/ per4m/ ?lang=_en, abgerufen am 09.06.2014.
[15] Collins, Lauren: The Question Artist, The New Yorker, 06.08.2012, S. 34 ff.
[16] Ebd., S. 34 ff.
[17] Ebd., S. 34 ff.
[18] Marina Abramović, in: Mono.Kultur #35, Berlin, 2013, S. 6.