Manifesto, ergo sum.

Der Künstler Julian Rosefeldt inszeniert in seiner Ausstellung Manifesto die Schauspielerin Cate Blanchett – und sein Ego mit dazu. Das Konzept bleibt dabei zwar auf der Strecke, aber das macht nichts.

Stell dir vor, du bist Künstler und wie es der Zu­fall will, wirst du einer der erfolgreichsten Schau­spielerinnen deiner Zeit vorgestellt. Sie findet dich sympathisch, bietet dir ihre unent­geltliche Zu­sam­menarbeit an und fordert dich auf, dich mit einer Projektidee zu melden. Über zwei Stun­den Film, das ist doch etwa nicht zu viel von ihr verlangt. Oder? Und je größer du planst, desto mehr Co-Produzenten kannst du mit ins Boot holen, denn – hey – du arbeitest ja schließlich mit Cate Blanchett zusammen.

Ob dies die Gedankengänge des Künstlers Julian Rosefeldt waren, die in die Ausstellung Manifesto mündeten, weiß man nicht, aber zumindest werden die äußeren Um­stände dieses Mär­chens offiziell so vom Künstler und dem Museum Hamburger Bahn­hof ver­breitet. Dort ist das Ergebnis seiner Zusammenarbeit mit Cate Blanchett bis Juli zu sehen, bevor es auf weiteren Sta­tionen zu den anderen Geldgebern reist, deren vollständige Auf­listung den be­scheidenen Rahmen hier sprengen würde.

An der Arbeit selber ist hingegen nichts bescheiden: 13 Videos à zehn Minuten, davon zwölf mit Cate Blanchett als Protagonistin, die in und um Berlin unter Holly­wood würdigen Pro­duk­tions­bedingungen in Szene gesetzt wurde. Dafür hat sie, die es hasst im Film zu sprechen – wie vom Künstler gewünscht – fleißig Manifesttexte aus dem 20. Jahrhundert gelernt und das Ganze in einer tour de force in nur wenigen Tagen abge­dreht. Ihre meisterhaft professionelle Leistung hält das Werk zusammen und dies nicht nur dann, wenn die Projek­tionen sie synchron im Close-Up als Portrait zeigen. Diese Sequenzen bilden jeweils den Höhepunkt der von ihr into­nierten Ver­satz­stücke aus den ursprünglichen Künstler­mani­festen, die von Julian Rosefeldt unter thematischen Aspekten collagiert wurden.

Was zunächst streng konzipiert wirkt, ist bei näherem Hinblick reichlich vielen Zufällen unter­­­worfen: Einerseits werden verschiedene Manifeste von künstlerischen Stilrichtungen aufgegriffen und jeweils thematisch geordnet ineinander verschränkt, wie z.B. dem Futurismus, Dadaismus und Surrealismus. Andererseits gibt es aber auch Videos, die gleich Programme von ganzen Genres aufgreifen, wie z.B. Architektur- und Filmmanifeste oder gar eines mit Pam­phleten der konservativ-reaktionären Denkrichtung des Kreationismus. Man wird das Ge­fühl nicht los, dass hier versucht wurde, krampfhaft die Anzahl der Videos auf die symbolische Zahl zwölf aufzustocken, denen als Prolog das Manifest schlechthin vorangestellt wurde: das Kommunistische Manifest.

Die Videos, die alle zusammen in einem schwarz gehaltenen Raum präsentiert werden, bilden aufgrund der dür­ftigen Abtrennungen eine Kakophonie von Stimmen und Geräuschen. Durch die fehlende Unter­titelung wird die Konzentration auf die einzelnen Texte zusätzlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht – aber diese lassen sich ja im Katalog nachlesen oder in Auszügen in den Sonderseiten des Kunstmagazins Monopol. Dies verstärkt den Eindruck, dass es hier gar nicht um Inhalte und eine ihnen angemessene oder sie reflektierende Präsentation geht, wie vom Künstler behauptet, sondern ledig­lich um den maximal erzielbaren Effekt. Gänzlich zur Strecke gebracht wird der Anspruch, die Manifeste selbst zu thematisieren, wenn man die Kombinationen der Texte mit den Inszenierungen abgleicht: Die Architekturmanifeste werden von Cate Blanchett in Gestalt einer Arbeiterin in einer Müllverbrennungsanlage intoniert, als Geschäfts­führerin darf sie Auszüge aus Texten des Blauen Reiter und des Abstrakten Expressionismus’ vortragen und eine von ihr gespielte Nachrichtensprecherin verließt Exzerpte zur Konzeptkunst und zum Minimalismus. Auch dort, wo bei einzelnen Videos Inhalt und Form vermeintlich gut zusammen passen, wie die Choreo­grafin zu Fluxus und Performance, wirkt dieses Konzept derart holz­schnitt­artig und über­zogen, dass die Darbietung in eine Parodie abgleitet und die Inszenierung zur Travestie wird.

Die Travestie zeigt uns zwar, dass sich nicht nur persönliche Identitäten bearbeiten und verdrehen lassen, sondern individuelle Geschichten ebenfalls Konstrukte und somit auch von der Zeitgeschichte beeinflusst sind. Aber obwohl bei Manifesto die historischen Zeitläufte mit zeitge­nössischen Charakteren eng geführt werden, schafft es der Künstler jedoch nicht, die in der Konfrontation angelegten Kon­flikte produktiv werden zu lassen, sondern gibt sich lieber bom­bastischen Inszenierungen hin. Was aber nicht heißt, dass man die Videos nicht gerne ansähe und sich von der hervor­ragenden Schau­spiel­kunst Cate Blanchetts berauschen und unterhalten ließe – zumindest so lange bis sie einem leid tut wegen ihres fast irrsinnigen Inputs in diese Arbeit.

Wenn man sich gegenüber dem sich in der Arbeit manifestierenden Ego des Künstlers be­hauptet und seinen eigenen Umgang mit dem Werk und seinen vermeintlichen Weisheiten findet, besteht also die Chance, eigene Absichten und Ziele zu verfolgen. Denn wie heißt es in Rosefeldts Video mit Texten von Filmmanifesten, in dem Blanchett als Lehrerin Jean-Luc Godard zitiert: «It’s not where you take things from, it’s where you take them to.»


Foto: Julian Rosefeldt: «Manifesto», 2014/2015 | © VG Bild-Kunst, Bonn 2016